Zu unterschiedlichen Zeitpunkten des gerichtlichen Verfahrens kann gegen einen Sachverständigen ein Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt werden, erklären Prof. Dr. Andreas A. Stevens, Leiter des Medizinischen Begutachtungsinstituts in Tübingen, und der Rechtsanwalt Dr. Manfred Steinhausen aus Köln in der Zeitschrift „Der Medizinische Sachverständige“ (Ausgabe November/Dezember 2022).
Von Gerichten bzw. in der einschlägigen Fachliteratur wurde u. a. bei folgenden Gründen im Gutachten Besorgnis der Befangenheit bejaht:
- Der (gerichtlich bestellte) Sachverständige geht mit seinen Feststellungen über die vom Gericht vorgegebenen Beweisfragen hinaus und beantwortet (auch) vom Auftrag nicht umfasste Fragen.
- Der Sachverständige missachtet Weisungen des Gerichts zur Behandlung des Tatsachenstoffs.
- Der Sachverständige ermittelt eigenmächtig und vernimmt etwa Zeugen.
- Der Sachverständige verwertet Krankenunterlagen, zu denen keine Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt.
- Der Sachverständige verwertet Informationen oder Material, welche er sich von einer Partei ohne Wissen der anderen Partei verschafft hat.
- Der Sachverständige erstellt das Gutachten ungewöhnlich schnell.
- Der Sachverständige macht sachliche Fehler.
- Der Sachverständige wertet die ihm vorliegenden Informationen nicht oder nur unvollständig aus.
In den letzten beiden Konstellationen mögen zwar Zweifel an der Qualifikation oder der korrekten Arbeitsweise des Sachverständigen begründet sein. Dabei handelt es sich aber um sachliche Bedenken und nicht um die Vermutung der Besorgnis der Befangenheit.
Stevens, A., Steinhausen, M.: Besorgnis der Befangenheit von Sachverständigen: Prüfe das Gutachten, nicht den Sachverständigen. Der medizinische Sachverständige, 118, 6/2022, S. 244-255
https://www.medsach.de/originalbeitraege/astevens1-2-msteinhausen3-besorgnis-der-befangenheit-von-sachverstaendigen-pruefe (zahlungspflichtig)
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