Seit jeher regelt das Straßenverkehrsrecht die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für schwer behinderte Menschen mit bestimmten Funktionseinschränkungen. Zuvor waren als Definition für die außergewöhnliche Gehbehinderung in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nummer 11 StVO Rn 129 und 130 folgende gesundheitlichen Voraussetzungen genannt: „Querschnittsgelähmte, doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkopfprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- und armamputiert sind sowie andere schwer behinderte Menschen die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.“

Diese, am Vorliegen oder der Anzahl bestimmter Diagnosen orientierten Kriterien, standen mit internationalen Standards der WHO wie dem biopsychosozialen Modell der ICF und dem modernen Behinderungsbegriff, der in § 2 SGB IX Eingang gefunden hat, nicht mehr in Einklang. Im Zuge der Neufassung und Übernahme der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG in § 229 SGB IX sind diese Kriterien nicht mehr Bestandteil der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV).

Aktuelle Kriterien für die Nutzung von Behindertenparkplätzen – außergewöhnliche Gehbehinderung (Merkzeichen aG)

Seit dem 1. Januar 2017 wurden die Kriterien für die Vergabe des Merkzeichens aG im § 229 Abs. 3 SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – Schwerbehindertenrecht) neu definiert:

Die Straßenverkehrsordnung sieht Ausnahmegenehmigungen im Sinne von Parkerleichterungen, etwa der Nutzung eines Behindertenparkplatzes, für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung vor. Ist dieses Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis eingetragen, stellt die örtlich zuständige Straßenverkehrsbehörde nach Erteilen der Ausnahmegenehmigung den EU-einheitlichen blauen Parkausweis aus.

Beim berechtigten Personenkreis nennt die Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nummer 11 StVO (Rn 128) an erster Stelle schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 229 Absatz 3 SGB IX:

§ 229 Abs. 3 SGB IX: Persönliche Voraussetzungen

Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.

Nutzung von Behindertenparkplätzen nur unter engen Voraussetzungen

Mit dem Inkrafttreten der ersten Stufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurde die Definition der außergewöhnlichen Gehbehinderung, die zuvor bestimmte Diagnosen in den Mittelpunkt stellte, durch eine am Behinderungsbegriff der UN-Behindertenrechtskonvention teilhabeorientierte Betrachtungsweise abgelöst. Zwar war es schon zuvor in der versorgungsärztlichen Begutachtungspraxis sowohl zulässig als auch allgemein üblich, nicht nur Beeinträchtigungen im Bereich der Gehwerkzeuge im engeren Sinn, sondern auch andere Gesundheitsstörungen sowie Kombinationen mehrerer Behinderungen diesbezüglich zu berücksichtigen.

Die Neufassung hält an dem bewährten Grundsatz fest, das Recht zur Nutzung von Behindertenparkplätzen nur unter engen Voraussetzungen einzuräumen. Der Gesetzgeber führt in seiner Begründung (Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 319 – Drucksache 18/9522, S. 317) an, dass eine Ausweitung des Berechtigtenkreises zu einer vermehrten Belegung heute freier Plätze führe mit der Folge, dass die von der Zielgruppe zurückzulegenden Wege sich verlängern.

Der Gesetzgeber führt hierzu des Weiteren aus, dass ganz unterschiedliche Gesundheitsstörungen dazu führen können, dass sich jemand dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges fortbewegen kann.

Welche Personen haben Anspruch auf Behindertenparkplätze?

Die genannten Voraussetzungen können beispielsweise erfüllt sein bei

  • zentralnervösen, peripher-neurologischen oder neuromuskulär bedingten Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist (insbesondere bei Querschnittlähmung, Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose [ALS], Parkinsonerkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung),
  • einem Funktionsverlust beider Beine ab Oberschenkelhöhe oder einem Funktionsverlust eines Beines ab Oberschenkelhöhe ohne Möglichkeit der prothetischen oder orthetischen Versorgung (insbesondere bei Doppeloberschenkelamputierten und Hüftexartikulierten),
  • schwerster Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit (insbesondere bei Linksherzschwäche Stadium NYHA IV),
  • schwersten Gefäßerkrankungen (insbesondere bei arterieller Verschlusskrankheit Stadium IV),
  • Krankheiten der Atmungsorgane mit nicht ausgleichbarer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades,
  • einer schwersten Beeinträchtigung bei metastasierendem Tumorleiden (mit starker Auszehrung und fortschreitendem Kräfteverfall).

Voraussetzung: Mobilitätsbezogener GdB von mindestens 80

In Abkehr von der bis zum 31.12.2016 geltenden Rechtslage, die sich an Regel- und ihnen gleich zu stellenden Fällen orientierte, normiert § 229 Abs. 3 SGB IX nun kumulativ als Anspruchsvoraussetzung für Betroffene zum Einen eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die darüber hinaus einem GdB von mindestens 80 entsprechen muss.

Aus der Rechtsprechung zum Merkzeichen aG

In seinem Urteil vom 16.3.2016 (B9 SB 1/15 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) zum wiederholten Male betont, dass sich ein anspruchsausschließendes individuelles Restgehvermögen weder quantifizieren noch qualifizieren lasse. Insofern stellten die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich sei: nämlich nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an – erfülle, qualifiziere sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklege. Dabei könne Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein.

In seinem Urteil vom 23.02.2021 (L 10 SB 75/19) stellte der erkennende Senat des LSG Niedersachsen-Bremen fest, dass bei dem Kläger aufgrund sich überschneidender deutlich potenzierender Gesundheitsstörungen eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von mindestens 80 vorliege und er bei zusammenfassender Betrachtung „unter erheblichen Schmerzen und nur unter Nutzung von Hilfsmitteln (Fußheberorthese, Rollator, Unterarmgehstütze) in einem kleinschrittigen – mit den Worten des Sachverständigen: kümmerlichen – Gang praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kfz an bestenfalls bis zu 20 Meter weit gehen kann und dann eine Pause einlegen muss, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und neue Kräfte sammeln muss, um weitergehen zu können. Hierbei handelt es sich um die erforderliche – und für das Merkzeichen aG geforderte – große körperliche Anstrengung (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002, B 9 SB 7/01 R sowie Urteil vom 16. März 2016, B 9 SB 1/15 R). Das Merkzeichen aG setzt nicht voraus, dass der schwerbehinderte Mensch nahezu unfähig ist, sich fortzubewegen“.

In der oben zitierten Entscheidung vom 16.3.2016 hat das BSG allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit infolge von anfallsartigen Ereignissen bei neurologischen Erkrankungen wie zum Beispiel epileptische Anfälle oder plötzliches Erstarren der Bewegungen bei M. Parkinson nicht dem „dauernden Fortbestand“ der außergewöhnlichen Gehunfähigkeit gleichzusetzen sei, die die ständige Nutzung eines Rollstuhls erforderlich mache.

In einer anderen Entscheidung zu dieser Thematik hat das BSG klargestellt, dass es dem Sinn des Nachteilsausgleiches nicht entspreche, wenn die durch den Nachteilsausgleich aG vermittelten Parkvergünstigungen Begleitpersonen, die Menschen mit Behinderungen zu überwachen und zu leiten hätten, ihre Aufgabe durch eine Verkürzung des Weges erleichtern. Der Nachteilsausgleich solle allein die neben der Kraftfahrzeugbenutzung unausweichliche Wegstrecke für Schwerbehinderte abkürzen, die sich nur mit außergewöhnlicher und großer Anstrengung zu Fuß fortbewegen können (BSG v. 13. 12. 1994 – 9 RVs 3/94).

In einer aktuellen Entscheidung (BSG v. 09. 03. 2023 – B9 SB 8/21 R) führte das BSG aus, dass eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung i.S. des § 229 Abs 3 Satz 2 SGB IX anhand der beim Verlassen eines Kraftfahrzeugs typischerweise vorzufindenden Umgebungsverhältnisse zu bestimmen sei. Diese umfassen insbesondere auch den öffentlichen Verkehrsraum abseits vertrauter Wege. Die Fähigkeit, ausschließlich bestimmte Wege in einer vertrauten Umgebung auf bekannten und eingeübten Strecken zurückzulegen, stehe der Annahme einer solchen Beeinträchtigung nicht entgegen.

Demnach stehe dem Kläger, der in unbekannter Umgebung aufgrund einer geistigen Behinderung nicht frei gehen könne, sondern zumindest Unterstützung durch eine Begleitperson benötige, auf deren Arm er sich abstützen müsse, das Merkzeichen aG zu. Dabei sei es unerheblich, dass er sein größeres motorisches Potenzial wegen seiner globalen Entwicklungsstörung nicht abrufen bzw. nur in vertrauter Umgebung ausschöpfen könne. Aufgrund der Zielsetzungen des SGB IX sei der mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung im öffentlichen (Verkehrs-)Raum besonderes Gewicht zuzumessen, also auch den Wegen zu Schule, Arbeitsstätte oder Arzt, zum Einkaufen und generell zum Besuch von Einrichtungen des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens.

Parkerleichterungen für Menschen mit Behinderungen nach § 46, Abs. 1 Nr. 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO)

Der Berechtigtenkreis von Menschen mit Behinderungen, denen Parkerleichterungen gewährt werden können, wurde durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der VwV-StVO durch das Bundesministerium für Verkehr in der aktuellen Fassung vom 8. November 2021 bestätigt (BAnz AT 15.11.2021 B1). Neben schwerbehinderten Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung i.S. von § 229 Abs. 3SGB IX, beiderseitiger Amelie oder Phokomelie bzw. vergleichbaren Funktionseinschränkungen und blinden Menschen sind drei weitere Personengruppen zusätzlich erfasst, die zwar nicht außergewöhnlich gehbehindert sind, aber unter sehr starken Einschränkungen beim Gehen leiden.

Unter den Randnummern 134 bis 136 sind zusätzlich genannt:

  • Schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) und gleichzeitig einem GdB von wenigstens 50 für Funktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane
  • Schwerbehinderte Menschen, die an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt sind, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 60 vorliegt
  • Schwerbehinderte Menschen mit künstlichem Darmausgang und zugleich künstlicher Harnableitung, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 70 vorliegt

Eine Ausnahmegenehmigung kann auch denjenigen schwerbehinderten Menschen erteilt werden, die nach versorgungsärztlicher Feststellung dem genannten Personenkreis gleichzustellen sind.

Der (bundeseinheitliche) orangefarbene Parkausweis ist bei der örtlichen Straßenverkehrsbehörde zu beantragen und kann für die Dauer von 5 Jahren ausgestellt werden, er gilt im gesamten Bundesgebiet. Er berechtigt jedoch nicht generell zur Nutzung von Behindertenparkplätzen, es sei denn, es gibt eine regional gültige Sonderbestimmung.

Dr. Petra Nieder, Fachärztin für Anästhesiologie, Sozialmedizin
Medizinische Sachverständige, cpu

Der Aufsatz ist folgendem Werk entnommen und an die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angepasst worden:

P. Nieder, C. Rieck, E. Losch, K.-D. Thomann (Hg.): Behinderungen zutreffend einschätzen und begutachten: Die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB). Kommentar zur Versorgungsmedizin-Verordnung. 2. Auflage, Referenz-Verlag, Frankfurt am Main 2024 (ISBN 97 83943 441291)

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