In den letzten Jahren gewinnt das Thema der Aufklärung über die Risiken und Alternativen von operativen Eingriffen zunehmend an Bedeutung, erklärte der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht (OLG) Hamm Joachim Lüblinghoff im Rahmen des Jahresmediengesprächs des OLG am 19. Juni 2024. Gesetz und Rechtsprechung verfolgen hier das Bild eines mündigen Patienten, der eine informierte Entscheidung treffen kann.

Als Beispiele führte er zwei Fälle der vergangenen Jahre an:

Mangelhafte Aufklärung über Behandlungsalternativen

In einem in diesem Jahr entschiedenen Fall ging es um die Anforderungen an die Aufklärung, wenn neben einer Operation auch eine konservative Behandlung in Betracht kommt.

Die damals 58-jährige Patientin hatte sich Anfang und Mitte 2016 wegen Bandscheibendegeneration zur Versteifung ihrer Wirbelsäule in dem beklagten Krankenhaus operieren lassen. Aufgrund anhaltender Beschwerden verklagte sie dann Arzt und Krankenhaus. Behandlungsfehler bei den Operationen wurden nicht erwiesen. Umgekehrt konnte das beklagte Krankenhaus aber auch eine ausreichende und damit wirksame Einwilligung der Patientin nicht nachweisen, weshalb das OLG ihr 50.000 Euro Schmerzensgeld zusprach und feststellte, dass sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen seien.

Das Gericht vermisste eine ausreichende Aufklärung über die hier gegebene Alternative einer konservativen Behandlung. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Patientin erfordert eine Aufklärung auch über Alternativen zu der geplanten Maßnahme, wenn diese zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Hier hätte eine konservative Behandlung durch Physiotherapie, Schmerzmedikation und Spritzentherapien zwar keine Aussicht auf Heilung, wohl aber auf eine länger, ggf. Jahre andauernde Beschwerdelinderung geboten.

Den Beweis, dass die Patientin über diese Alternativen in der gebotenen ausführlichen Weise aufgeklärt war, hat das Krankenhaus aber nicht geführt. Das Gericht ist insbesondere davon ausgegangen, dass der Patientin die für eine informierte Abwägungsentscheidung notwendigen Argumente für die eine oder die andere Behandlungsmethode nicht bekannt gewesen waren.

Das Urteil ist rechtskräftig. Es ist veröffentlicht unter https://www.justiz.nrw/nrwe/olgs/hamm/j2024/26_U_36_23_Urteil_20240202.html (OLG Hamm, Urteil vom 2.2.2024, AZ: 26 U 36/23)

 

Aufklärung durch unerfahrenen Arzt trotz besonderer Risiken

In einem Fall aus Dezember 2022 ging es um die Frage, welche Erfahrungen der aufklärende Arzt bei einer Operation mit besonderen Risiken haben muss.

Die damals 44-jährige Patientin litt seit ihrer Kindheit an einer Hüftdysplasie und daraus folgend an einer fortgeschrittenen Hüftgelenksarthrose. Sie hatte sich 2017 operieren lassen (Implantation einer zementfreien Hüftgelenk-Totalendoprothese rechts) und verklagte wegen anhaltender Beschwerden anschließend den Operateur und das Krankenhaus. Auch in diesem Fall konnte die Patientin einen Behandlungsfehler nicht beweisen. Da sich aber die Aufklärung als nicht ausreichend herausstellte, sprach ihr das OLG ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro zu und stellte fest, dass Arzt und Krankenhaus für alle materiellen Schäden haften.

Den Grund für den Aufklärungsfehler sah das Gericht hier auch in der Person des Aufklärenden begründet. Wie im Krankenhausalltag durchaus üblich, war die Aufklärung nicht vom Operateur selbst, sondern von einem anderen dort tätigen Arzt vorgenommen worden. Dies ist grundsätzlich rechtlich in Ordnung, so das OLG. Aufgrund der Vorerkrankung der Patientin und des mit dem Eingriff verbundenen hohen Risikos hätte die Aufklärung hier aber von einem Arzt vorgenommen werden müssen, der aufgrund seiner Erfahrungen – beispielsweise aufgrund selbst durchgeführter Operationen – die Risiken aus eigener Anschauung gut genug kennt und entsprechend vermitteln kann. Der für das Aufklärungsgespräch eingesetzte Assistenzarzt war indes noch nicht einmal drei Wochen in dem Krankenhaus beschäftigt gewesen und hatte keinerlei Erfahrungen mit Operationen auf diesem Fachgebiet.

Das Urteil ist rechtskräftig. Es ist veröffentlicht unter https://www.justiz.nrw/nrwe/olgs/hamm/j2022/26_U_46_21_Urteil_20221220.html (OLG Hamm, Urteil vom 20.12.2022, AZ: 26 U 46/21)