Die Anforderungen an medizinische Gutachten und die damit verbundenen Frage der medizinisch-wissenschaftlichen Beweiskraft diskutieren Prof. Dr. Grömer vom Institut für Neurologisch-Psychiatrische Begutachtung Bamberg (INPB) und Prof. Dr. Gaidzik vom Institut für Medizinrecht an der Universität Witten/Herdecke ausführlich in der Zeitschrift „Der Medizinische Sachverständige“ (Heft 5/2024 vom September/Oktober 2024).
Kern einer gutachterlichen Aussage ist demnach die medizinisch-wissenschaftlich fundierte Begründung. Deren Erarbeitung stellt eine wissenschaftliche Arbeit dar und unterliegt den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis.
Hier zusammengefasst einige der wichtigsten Aussagen:
- In der Bewertung der Aktenlage wählt der Gutachter die wichtigsten Befunde aus und beurteilt damit bereits, welche Befunde relevant sind. Das ermöglicht dem Leser, sich an dieser Stelle über die Aktenlage komprimiert zu informieren.
- Die Anamnese ist ein Kernelement des Gutachtens. Eine Anamnese stellt die Niederschrift von Aussagen durch den medizinischen Sachverständigen dar und ist daher bereits ein interpretiertes Ergebnis. Zu den wesentlichen Aspekten sollten die Antworten des Befragten wortgetreu in indirekter Rede niedergelegt werden.
- Nicht nur beobachtbare Sachverhalte können als Befund bezeichnet werden: Ein Befund ist auch ein dem Untersucher plausibel werdender Sachverhalt, was eine Befunderhebung lege artis darstellt und damit wissenschaftlich ist.
- In der Plausibilitätsprüfung werden alle Informationsebenen kritisch prüfend verglichen, Hinweise auf Aggravation oder Simulation diskutiert. Ohne eine solche Plausibilitätsprüfung ist ein medizinisches Gutachten nicht belastbar, fehlerhaft.
- Um Inkonsistenzen zu vermeiden, muss sich der Gutachter auch mit den relevanten Vorgutachten auseinandersetzen. Dabei muss er kritisch medizinisch-wissenschaftlich auf etwaige Abweichungen eingehen.
- Die Beantwortung der (Beweis-)Fragen an den Gutachter sind der Dreh- und Angelpunkt der gutachterlichen Leistung. Diese Fragen sind es, die den vorherigen Aufbau und Inhalt des Gutachtens maßgeblich prägen sollten.
- Die Diskussion der Ergebnisse und die Erstellung der Schlussfolgerungen (Diagnosen, Einschätzungen) sind die wesentlichen Elemente des Gutachtens; sie müssen medizinisch-wissenschaftlich begründet werden. Ohne Begründung einer Bewertung stellt diese zunächst nur eine medizinische Behauptung dar.
(Grömer, T. W., Gaidzik, P. W.: Medizinisch-wissenschaftliche Beweiskraft. Der medizinische Sachverständige, 120, 5/2024, S. 202-210)
https://www.medsach.de/originalbeitraege/medizinisch-wissenschaftliche-beweiskraft (zahlungspflichtig)