Aktuell wurde die 3. Neubearbeitung der S2k-Leitlinie „Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma im Erwachsenenalter“ (AWMF-Register-Nr. 094-002) mit Stand 31.7.2024 vorgelegt. Erstellt wurde diese unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung.
https://register.awmf.org/assets/guidelines/094-002l_S2k_Begutachtung-bei-gedecktem-Schaedel-Hirntrauma-Erwachsene_2024-08.pdf
Dabei wurden etwa die Empfehlungen für den gutachtlichen Nachweis einer substanziellen Hirnschädigung anhand klinischer Befunde anhand der hierzu vorhandenen Literatur überarbeitet und präzisiert.
Hier einige der zusammenfassenden Empfehlungen
Neurologische Folgen nach einer traumatischen Hirnschädigung sollen durch ein neurologisches oder neurochirurgisches Gutachten festgestellt und entsprechend der Vorgaben des jeweiligen Rechtsgebiets quantifiziert werden.
Begutachtung von posttraumatischen kognitiven Störungen:
- Nach traumatischer Hirnschädigung soll eine Abklärung möglicher Störungen der kognitiven Funktionen, insbesondere im Bereich von Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Exekutivfunktionen, mittels psychometrischer Verfahren erfolgen. Zu deren Erfassung und Bewertung sei auf die funktionsspezifischen Leitlinien (AWMF-Register-Nrn. 030/124, 030/125, 030/126, 030/135) verwiesen.
- Eine eingehende neuropsychologische Abklärung soll insbesondere bei leicht- bis mittelgradigen Hirnverletzungsfolgen erfolgen, während schwere Folgen gutachtlich häufig unschwer zu beurteilen sind.
- Anhand des Nachweises unterdurchschnittlicher Leistungen in psychometrischen Testverfahren allein lässt sich der Nachweis einer substanziellen Hirnschädigung allerdings nicht führen, da es keine Ätiologie-spezifischen Testprofile gibt. Die Ergebnisse der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung müssen daher vom Hauptgutachter mit Anamnese und klinischem Befund in Beziehung gesetzt werden.
Bei der Beurteilung organisch bedingter Verhaltens- und/oder Persönlichkeitsstörungen kommt der klinischen Verhaltensbeobachtung und ggf. der Fremdanamnese wesentliche Bedeutung zu. Testpsychologische Verfahren (neuropsychologische Tests, Selbstbeurteilungsinstrumente) bilden diese Störungen häufig nur unzureichend ab.
Werden nach einem Schädel-Hirntrauma psychische Störungen und/oder funktionelle (somatoforme, dissoziative) Körpersymptome geltend gemacht, soll gutachtlich geklärt werden, ob es sich hierbei um Folgen der Hirnschädigung selbst, um Folgen des Schädigungserlebens oder um mittelbare Folgen (sonstiger) durch das Trauma verursachter körperlicher Schäden handelt.
In Abhängigkeit der Fragestellung erfordert dies neurologische, psychiatrische, psychosomatische und/oder neuropsychologische Kompetenz, so die Autoren. Zu deren Erfassung und Bewertung verweisen sie auf die Leitlinie „Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen“ (AWMF-Register-Nr. 051-029).
Die gutachtliche Anerkennung posttraumatischer Kopfschmerzen über mehr als 6 bis 12 Monate nach einem Schädel-Hirntrauma setzt den Nachweis einer substanziellen traumatischen Hirnschädigung und/oder einer Schädigung schmerzempfindlicher Strukturen im Kopfbereich voraus. Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch können im begründeten Einzelfall als Unfallfolge attestiert werden, wenn diese nachweisbar iatrogen (durch behandelnde Ärzte bedingt) verursacht sind (→ AWMF-Register Nr. 051-029).
Zur Feststellung, Quantifizierung und Klassifizierung von Störungen der Kognition, des Verhaltens und Erlebens soll insbesondere nach leicht- und mittelgradigem Schädel-Hirntrauma ein neuropsychologisches Zusatzgutachten durch einen qualifizierten neuropsychologischen Gutachter erfolgen:
- Dieses soll – bei entsprechender Fragestellung durch den Auftraggeber – ggf. auch zu Fragen der Rehabilitation und der Teilhabe-Auswirkungen Stellung nehmen.
- Das neuropsychologische Gutachten soll Verfahren der Beschwerdenvalidierung umfassen, die in geeigneter Form interpretiert werden.
- Der Hauptgutachter integriert dann die erhobenen Befunde nach eigener Bewertung und Plausibilitätskontrolle in den Gesamtbefund.